Zum Tod von Tomi Ungerer am 8. Februar 2019
Am 13. Februar 1934 wurde Arnulf Hanzel erschossen. Er lebte mit seiner Familie in einem Wiener Gemeindebau und saß am Küchentisch. Um 16 Uhr 45 stand er auf, um sich ein Bilderbuch aus dem Kabinett zu holen. Marodierende Jugendliche schossen auf alles, was sich hinter den Fenstern des Gemeindebaus bewegte und Arnulf Hanzel direkt in den Mund.
Dem am Samstag, den 8. Februar 2019 verstorbenen Schriftsteller und Illustrator Tomi Ungerer wurde oft vorgeworfen, dass seine Kinderbücher brutal und drastisch seien. Auch sexistisch, weil er in „Flix“ eine nackte Frau nach der Geburt gezeichnet hatte. Diese Bücher dürften Kindern nicht zugemutet werden und, nachdem er sich in den USA kritisch zum Vietnam-Krieg geäußert hatte, und auch noch die zunehmende „Diskommunikation“ (Tomi Ungerer) der Menschen, selbst in ihren intimsten Verhältnissen, in seinem „Fornikon“ festgehalten hatte, erhielt er keine Arbeit mehr und seine Bücher wurden verboten.
Dabei hatte Tomi Ungerer am eigenen Leib erfahren, was Krieg und Zerstörung anrichtet, auch mit den Menschen. Mit drei Jahren früh verwaist, musste er nach dem Einmarsch deutscher Truppen blitzartig Deutsch lernen um nicht aufzufallen. Später nach der Rückeroberung durch die französische Armee wurden die Bücher von Goethe und Schiller versteckt.
Trotz alledem und vielleicht gerade deshalb hatten alle Kinder in seinen Büchern immer Mut. Sei es in „Die drei Räuber“, alle fliehen, auch die Hunde, nur die Kinder nicht. Und wenn es nicht die Kinder sind: auch „Otto“. Den Bären verlässt nie die Zuversicht. In dieser „Autobiographie“ eines Teddybären“ beschreibt Tomi Ungerer das Schicksal des besten Freundes von David und Oskar. Kindern mit einer einfachen Geschichte, mit ebenso einfach-zeitlosen Zeichnungen den Zweiten Weltkrieg nahezubringen, das ist große Kunst. Eine Kunst, die nur Tomi Ungerer verstand. Natürlich geht das Schicksal Ottos geheimnisvolle Wege bis er in Amerika sein neues Zuhause findet. Findet? Nein: wiederfindet. Vieles ist und bleibt im Leben ein Geheimnis. In seinem Gespräch mit der Zeit meinte Tomi Ungerer: „Es muss Geheimnisse geben.“*
Das galt auch für Tomis Ungerer Haltung zum Tod: „Es gibt Dinge, die einfach nicht zu erklären sind. Eine Raupe verschwindet in einem mit Mayonnaise gefüllten Kokon und kommt als Schmetterling wieder heraus: Wieso soll ich das erklären? Das will ich gar nicht, sonst gäbe es bald keine Poesie mehr.“
Der Tod, das ist für manche immer auch noch eines der Tabus, das in einem Bilderbuch nicht behandelt werden sollte.
Wenn also das Leben grausam und brutal ist, wenn es unerklärliche Wendungen nimmt, wenn die Realität schlimmer ist als sie sein sollte, wenn Kinder erschossen werden, weil sie sich ein Bilderbuch holen, oder wenn Kinder auf unserer Welt überhaupt nie eine Chance erhalten, sich ein Bilderbuch holen zu dürfen: dann sollen Bilderbücher zeigen, wie das Leben ist. Schließlich, und das gibt uns allen Hoffnung, haben die Kinder in Tomi Ungerers Kinderbüchern nie Angst.
Zu Tomi Ungerer: Otto. Autobiographie eines Teddybären.